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Ein Leben für die Demokratie

Aus Gespräch mit der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano, NRW-Kultusministerin Sylvia Löhrmann und Musiker Kutlu Yurtseven wird offener Austausch zu den Themen Antifaschismus, Perspektiven der Demokratie und Musik als Lebenswegbegleiter.

Das Podiumsgespräch mit Politikerinnen und Politikern im Rahmen der Lernstatt Demokratie 2017 in der evangelischen Akademie Hofgeismar stand im Zeichen der Chancen und Risiken, denen die Demokratie heutzutage ausgesetzt ist. An der offenen Diskussions- und Fragerunde nahmen die Preisträgerin des "Hildegard Hamm-Brücher-Förderpreises für Demokratie lernen und erfahren" Esther Bejarano, ihr musikalischer Partner Kutlu Yurtseven von der Microphone Mafia, die NRW-Kultusministerin Silvia Löhrmann teil. Moderiert wurde die Podiumsdiskussion durch die freie Journalistin Blanka Weber. Fragen kamen von Schülerinnen und Schülern der Lernstatt Demokratie und aus dem Publikum.

"Gibt es heute noch Momente, die Sie mit Auschwitz verbinden?", diese an Esther Bejarano gerichtete Frage gab Anlass für den Tenor der Veranstaltung: Ja, die gebe es. Dabei verweist sie auf den neu entfachten Rechtsruck innerhalb der Gesellschaft in Deutschland und Europa, brennende Flüchtlingsheime als auch das Erstarken rechter Parteien wie der AfD. "Das macht mir Angst, weil ich weiß, was daraus entstehen kann", sagt Esther Bejarano. Die grausamen Erfahrungen, die sie im Nationalsozialismus gemacht hat seien nicht zu vergessen und sollen auch nicht vergessen werden: Durch das Erinnern an die Leiden der Opfer des Nationalsozialismus und die Gräueltaten im Faschismus, kann aufgezeigt werden, wohin Nationalismus und Intoleranz führen kann. Mit ihren Dialogen, die sie unter anderen an Schulen mit Kindern und Jugendlichen führt, möchte sie junge Menschen dazu anhalten, sich für die demokratischen Grundwerte der heutigen Gesellschaft einzusetzen, und um diese zu kämpfen. Ihr öffentliches antifaschistisches Engagement schlägt sich auch in dem gemeinsamen Bandprojekt Microphone Mafia mit ihrem Sohn Yoram Bejarano und Kutlu Yurtseven nieder.

In ihrer Gefangenschaft in Auschwitz brachte sich Esther Bejarano bei, Akkordeon zu spielen, um im Mädchen- und Frauenorchester aufgenommen zu werden. Dadurch konnte sie der zermürbenden Arbeit im Lager entrinnen und ihre Überlebenschancen erhöhen.

Wie sie nach ihrer Zeit in Auschwitz noch Musik machen könne und woher sie die Kraft für die vielen Auftritte nehme, die sie heute absolviert? "Das weiß ich selbst nicht", bemerkt Esther Bejarano erst scherzhaft, macht aber danach deutlich: Auf der Bühne zu singen, ihre Botschaft zu verbreiten und die Menschen dafür zu begeistern, sei die Energiequelle ihres Tuns. "Das gibt mir Kraft, natürlich!"

Bei Esther Bejaranos musikalischer Bühnentätigkeit handelt es sich in der Tat um ein enormes Pensum: Mehrere hundert Auftritte absolviert die 92-jährige im Jahr mit der deutsch-türkisch-italienische Rapgruppe Microphone Mafia, mit der sie gemeinsam seit Ende der 90er Rap-Lieder performt. Dabei liegt die Frage nahe, wie Rap und die Botschaften Esther Bejaranos zusammenpassen. Esther Bejarano und Kutlu Yurtseven wollen mit ihren mehrsprachigen Texten transportieren, dass es Faschismus nie mehr geben darf – und das in Form von modernen Beats, um auch die junge Generation mit ihrer Botschaft zu erreichen. "Rap ist einfach das, was man fühlt und mein Sprachrohr seit dem 16. Lebensjahr", gibt Kutlu Yurtseven zu bekennen. Darin und in dem gemeinsamen Anspruch gegen Rassismus und rechte Gewalt zu wirken, liegt der Schlüssel für die Musikpartnerschaft mit Esther Bejarano. Ihre Botschaft eint die Musikerinn und Musiker, auch wenn sie aus unterschiedlichen Zeiten stammen.

Unausweichlich bei der Diskussion ist die Frage, wie es um die Zukunft der Demokratie und der politischen Kultur in Deutschland steht. Hierbei wird die Landesbildungsministerin Silvia Löhrmann aus NRW angesprochen und danach gefragt, wie die Vermittlung von Demokratie im Lehrplan verankert ist und ob es nicht weitere Maßnahmen bedürfe, um Demokratieverständnis in der Schule zu vermitteln und erfahrbar zu machen. Sylvia Löhrmann stimmt dem Ruf nach mehr Demokratieerziehung zu und hebt hervor, dass dies auf zweierlei Art erfolgen sollte: Einerseits müsste Demokratie im Rahmen von Projektarbeiten systematisch den Schülerinnen und Schülern nahegebracht werden. Andererseits müssten auch die internen Strukturen in Schulen angepasst werden – hin zu mehr Mitbestimmung der Schülerschaft. Diese wird zum Beispiel in NRW durch die Drittelparität ermöglicht, durch welche den Schülerinnen und Schülern das gleiche Stimmrecht in der Schulkonferenz zusteht, wie den Eltern und Lehrkräften.

Insgesamt, so ist sich das Podium einig, zeigen die vielen Projekte und jungen engagierten Teilnehmenden der diesjährigen Lernstatt Demokratie, dass in der nachziehenden Generation jede Menge Potential steckt. Trotz unterschiedlicher Schwerpunktsetzung ihrer Themen setzen sich die Kinder und Jugendlichen, die Lehrkräfte sowie Pädagoginnen und Pädagogen für ein und dasselbe Grundziel ein: Ob nun Engagement für Nachhaltigkeit, für Toleranz, für Partizipation, für ein besseres und sozialeres Miteinander, für Denkmal- und Kulturschutz, für Multikulturalismus oder für eine aktive Erinnerungskultur – was über alldem steht, ist der Einsatz für eine freiheitliche, demokratische Grundordnung, der Kampf gegen nationalistische und faschistische Tendenzen innerhalb der Gesellschaft.

Es war ein spannender und kontroverser Abend, bei dem Alle – Publikum wie Podium – viel mitnehmen konnten. Ein besonderer Dank gilt Blanka Weber, welche durch das Programm führte und mit ihrer Moderation einen angeregten Austausch zwischen den Schülerinnen- und Schülern, dem Publikum sowie dem Podium - der Preisträgerin Esther Bejarano, Sylvia Löhrmann und Kutlu Yurtseven - ermöglichte.

(Julius Kessler, 22. Juni 2017)

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26.06.2017 (DI)

 
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