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Brass-Band, Schülerinnenengagement und politische Statements: Die Lernstatt Demokratie

Die Aula der Gesamtschule-Ost war proppenvoll, nicht nur deshalb, weil vor der Schule nach einem schwül-sommerlichen Mittag ein ordentlicher Gewitterregen niederging. Besonderes Interesse haben natürlich die bemerkenswerten Darbietungen des Schulorchesters der Gesamtschule-Ost erzeugt: Ein Rock'n'Roll-Medley und symphonische Blechbläserklänge – von einer bunten Truppe von mehr als 45 Schülerinnen und Schülern, sichtbar geprägt von multikulturellen Hintergründen und doch eins in der gemeinsamen Darbietung ihrer Musik.

Ein weiterer Fakt aber dürfte auch der gewesen sein, dass Hildegard Hamm-Brücher, engagierte Bildungspolitikerin bis heute und überzeugte Verfechterin einer bürgergesellschaftlich basierten Demokratie die Gesamtschule in Osterholz-Tenever und damit die Projektausstellung der rund 120 Schülerinnen und Schüler mit ihren 60 Lehrkräften besucht hat. Die nunmehr 89-jährige Alt-Liberale, besser gesagt, freiheits-gesonnene Politikerin hat im Gespräch mit der Schülersprecherin Swantje Möhle aus Bremerhaven auch ihr Credo zugespitzt und begriffsstark vorgetragen: "Ich habe die unmenschliche NS-Zeit nicht vergessen und weiß um den Wert der Freiheit, die nur in der Demokratie bewahrt werden kann – auch wenn uns vieles an der demokratischen Politik im Alltag stets unzufrieden zurücklässt", so Hamm-Brücher. Bei allem Verständnis über die Klagen und Mängelanzeigen der Politik eröffne Demokratie doch immer Spielräume, Alternativen und eben auch die Begrenzung von Macht und Amtszeit – ein nicht unwesentliches Pfand demokratischer Verfassung. "Ich wünsche mir mehr Projekte, mehr Kinder und Jugendliche die – so wir Ihr es zeigt – sich engagieren, auf Veränderungen bestehen und Vorschläge machen für die Bewältigung der vor uns liegenden Aufgaben." An die Politik appellierte Hamm-Brücher, "mehr Ernst zu machen mit der Schule, der Demokratiepädagogik und der Anerkennung der Leistungen, die gute Schulen vor allem dank der Mitarbeit ihrer Schülerinnen und Schüler erbringen". Der Applaus galt nicht nur den prägnanten Antworten Hamm-Brüchers auf die Schülerfragen, sondern auch der von Hildegard Hamm-Brücher gespendeten Zeit und Aufmerksamkeit für die Projekte demokratischen Handelns – und die Frage stand schon im Raum: Wer engagiert sich den sonst aus der Politik für die Projektarbeit in der schulischen Nische der Demokratieentwicklung?

Auch Renate Jürgens-Pieper ließ das vorbereitete Statement beiseite und nutzte die Gelegenheit zur Begrüßung per Gespräch. Die besondere Prägnanz der bremischen Schulprojekte beim Wettbewerb Demokratisch Handeln führte sie auf die gute Vorarbeit der bremischen Bildungspolitik in den früheren Jahren zurück. "Das ist natürlich nicht meiner politischen Wirkungszeit geschuldet", anerkennt die derzeitige Schulsenatorin die bildungspolitische Gestaltung der früheren bremischen Senate. "Eine besonders günstige Bedingung für schulische Demokratie in Bremen ist zudem natürlich die Dichte und Vernetzung der Schulen im Stadtstaat", so Jürgens-Pieper weiter, und nicht zuletzt sei auch die gute Tradition der Mitbestimmung durch Proteste und Demonstrationen, "also des in der Demokratie konstitutiv artikulierten Widerspruchs" ein besonderer Teil demokratischer Kultur. Applaus war dieser herzerfrischenden Analyse der Senatorin sicher und auf Zustimmung stieß auch das Bekenntnis der Bremer Schul-Chefin zur weiteren Förderung und Kooperation mit dem Wettbewerb Demokratisch Handeln.

Der Schulleiter der Gesamtschule Ost, Franz Jentschke, absorbierte die Lobeshymnen auf die "schöne Schule in Osterholz-Tenever" mit der Bemerkung "darum haben wir auch gekämpft – oft auch gegen die Politik". So habe man lange Gefechte um den Erhalt der Stadtteilbücherei gefochten, den beabsichtigten Abriss der Aula verhindern können und manch anderes Konzept mit strategischem Geschick, Behauptungswillen und bisweilen nur unter Duldung der Politik durchgesetzt, um jetzt mit der Schule als Stadtteilzentrum und Kulturfaktor für den wieder an Attraktivität gewinnenden Siedlungsteil Osterholz Tenever – kurz: OTe – präsent und gewünscht zu sein.

Der Geschäftsführer des Wettbewerbs, Wolfgang Beutel, hat den besonderen Reiz hervorgehoben, den die Lernstatt Demokratie im Umfeld des Alltags und regulären Schulbetriebs an einer solchen Schule entwickelt: "Der einzige Schutz vor negativer Routine, vorbereiteten Rezepten und gesichtsloser Wiederholungsstrategie ist die stetige Herausforderung, die die Lernstatt Demokratie – einem Wanderzirkus gleich – in Schulen verschiedener Bundesländer ausmacht", formuliert Beutel sein Credo, das zeigt, dass die Lernstatt Demokratie nicht ein "Format" ist, wie man das neudeutsch gerne nennt, sondern eine höchst individuelle, menschengeprägte und kontextsensible Gestaltung, die für Begegnung, Gesprächskultur und Lernatmosphäre sorgt. "Doch muss man Schulen finden, die die schöpferische Herausforderung einer solchen Gastlichkeit auch dadurch beantworten, dass die Lehrerschaft auch zu schöpfen weiß", sagt Beutel, und das sei in der GSO in besonderer Prägnanz sichtbar und zu spüren.

Schülerinnen zweier Projekte aus Hamburg und aus Frankfurt/Oder haben von ihren Projekten berichtet und klare Erwartungen an kreativen Austausch, gute Gespräche, eine reizvolle Gastgeberschaft in der Stadt – kurz eine zum Lernen vorbereitete Umgebung – formuliert. So passt Eins ins Andere, das ist der Eindruck von einem guten Start in eine interessante Veranstaltung. Wir sind hier in Bremen gespannt, was die nächsten Tage bringen werden. Jeder und jede aus der Teilnehmerschaft weiß jedenfalls, dass es auf alle und jeden zugleich ankommt, wenn daraus gute Ergebnisse werden sollen. Besser kann der Start in eine demokratische Projektarbeit wie bei der Lernstatt Demokratie gar nicht gelingen.

(Bremen, 9. Juni 2010, Wolfgang Beutel)


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09.06.2010 (LR)

 
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