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"Ihr habt mich verdient" - Ein Kabaratt-Abend mit Christoph Sieber


Ein spitzes Mundwerk, bissige Kommentare und eine durch seine glänzend virtuose Körpersprache raumgreifende Komik sind seine Markenzeichen: Christoph Sieber, der junge deutsche Erfolgskabarettist. Auch die Lernstatt Demokratie beehrt er mit seinem Programm „Sie haben mich verdient“ und strapaziert die Lachmuskeln seines Publikums. Und da es bei Demokratisch Handeln um Projekte geht, stellt er auch direkt zu Anfang das vor, was ihm als neue Herausforderung vorschwebt: genervt von der Verhätschelung des „ach so süßen“ Eisbären Knut will er nach „Free Willy“ und „Findet Nemo“ seinen Traumfilm „Killt Knut“ in die Kinos bringen. Die ersten Lacher des Abends sind ihm schon sicher, da sieht er in Knut auch noch eine Verbindung zu Edmund Stoiber, der ebenfalls so „weiß und verlassen“ sei – desorientiert durch die Räume steifend!

Im Laufe des Abends wird er nicht nur die CSU und den Rest des Bundestages, sondern auch Politik und Gesellschaft noch ordentlich durch die Perspektive des kritisch-aufklärerischen Humors betrachten. Lachen machen und zum Nachdenken anregen, das will sein Kabarett, das aber auf Kommunikation mit dem Publikum, Stegreif-Gags und gute Unterhaltung nicht verzichtet – im Gegenteil!

Politik in der Kritik

So zum Beispiel die kinderreiche Frau „aus Niedersachsen, die mit ihren Kindern die ganze Rente retten will“, gemeint ist unsere Familienministerin. Angela Merkel, Gerhard Schröder, Ulla Schmidt – alle bekommen ihr Fett weg und müssen sich einer anderen Verstehensweise ihres Tuns beugen. Auch das aktuelle Geschehen kommt nicht zu kurz. So zeigt sich Christoph Sieber außerordentlich beglückt über den Zaun um Heiligendamm, der die Außenwelt vor den Politikern schützt, und nicht etwa umgekehrt. Hier ist gleichzeitig ein gehöriges Maß an Kritik versteckt. Er bemängelt die vielen Einschränkungen mit denen die G8-Gegner zu kämpfen haben, so etwa dass Merkel, laut Sieber die Beste – weil Einzige – Bundeskanzlerin, bestimmt „wann, wo und wie demonstriert werden darf“. Aber auch mit der eigenen jungen Klientel geht er nicht zimperlich um – das Komasaufen ist ein weiteres Thema das Kabarettisten: „Früher wurde gekocht wie bei Mutti, heute gesoffen wie bei Vati“. Den deutschen Papst feiert er als Erfolg, allerdings für Hartz IV, da nun ein Deutscher den Job von einem Polen übernommen habe. Er macht vor keinem Thema halt, so ist für ihn gegen einen Tag in einer deutschen Hauptschule, „Afghanistan nur ein Spaziergang“. Er zeichnet ein düsteres Bild von Klassen in denen „die Hälfte kein Deutsch kann, die andere Hälfte aus dem Ausland kommt“, und sich „die geistige Inkontinenz in den Hosen (Baggy- Jeans) manifestiert hat.“

Fernsehen – die Bühne des Alters

Auch das deutsche Fernsehprogramm nimmt er spitzfindig aufs Korn. Von grenzdebilen Moderatoren und Johannes B. Kerner als „Zäpfchen der Fernsehunterhaltung“ ist die Rede. Doch nicht nur seine Äußerungen bringen die Zuschauer zum Lachen, die pantomimisch perfekte Untermalung macht einen Großteil seiner Darbietung aus. So ist die „politischste Jonglage der Welt“ fester Bestandteil des Programms, in der er sich die Frage stellt was für ein Ticker eigentlich ein Politiker ist. Die Sorge um die Rente, und zwar nicht die von Riester sondern seine eigene, bringt ihn zum Thema Alterspyramide. „Ihr seit nicht das Problem, sondern die Ungeborenen, weil die keine Kinder mehr kriegen“, so erzählt er von seinen Erkenntnissen. Die Apotheken-Umschau als „Senioren-Bravo“, Wassergymnastik aus Bad  Salzuflen auf Eurosport und Johannes Heesters als Teilnehmer von „Germany’s Next Topmodel“- so stellt er sich Deutschland in ein paar Jahren vor.

Sein Mobilfunkanbieter hat es Christoph Sieber besonders angetan: Nach seiner Rezitation des mit inhaltsleeren-ideologischen Anglizismen geschwängerten Textes des „Mobiltelefon-Rundbriefes“ gibt er beschämt zu, dass er sich solche Post schon von seinem 8-jährigen Neffen erklären lassen muss.

Kabarett und Körpersprache

Dieser Kabarettist ist ein Virtuose im Minenspiel: Er erklärt uns die gesamte Menschheitsgeschichte in fünf Minuten. Der Schnelldurchlauf mit vollem Körpereinsatz beginnt mit dem Nichts, was ihn pantomimisch sehr an seine eigene Schulzeit erinnert. Über die Fische und Echsen kommt er schließlich zu dem Ruck, auf den er schon so lange wartet und der nun endlich durch Deutschland gehen soll – da gilt: „nicht immer kurz vorher wieder umdrehen“. Nach der Pause und weiterhin ohne Tabus nimmt er die Gesundheitsreform aufs Korn, mit dem Ergebnis, dass wir uns angesichts der erreichten Lösung freuen sollten, dass „die Politiker wenigstens den Rest liegen gelassen haben“. Abfinden mit der Situation heißt es, man müsse ja auch „nicht wegen jedem Beinbruch zum Arzt gehen“ und schließlich reiche es ja auch wenn der Opa ein Gebiss hat, dann „kann sich die Oma das doch auch mal ausleihen“. Schließlich erzählt er noch einige Anekdoten aus seiner Kindheit, in der nach eigenen Angaben das Gemüse an seinen Rippen geschrubbt wurde, weil er so mager war.

Von wegen: Auch Jugendkultur ist kabarettreif

Nachdem der tosende Applaus wieder verklungen ist, kommt er auf das Thema Musik irgendwo „zwischen Eminem und Florian Silbereisen“. Christoph Sieber gibt alles bei seiner Parodie auf den Hiphop, als er mit „krasser Checker“- Vokabular seine epileptisch-spastisch anmutenden Bewegungen auf der Bühne vollführt. Von Xavier Naidoo als „der Stimmbruch Gottes“ geht es weiter zum Thema Fußball und – wie könnte es anders sein – ist auch ein Oliver Kahn nicht vor der (auf Deutsch gesagt) „großen Klappe des Künstlers“ gefeit. Die leeren Grasflächen vor dem Kahn-Tor schreibt er dem Appetit des Torhüters zu. Vom Fußball geht es dann stakkato-artig weiter über gedopte Fahrradfahrer bis hin zum Motorsport. So ist ein Michael Schumacher – glaubt man unserem Kabarettisten – schon mit aerodynamischem Kinn auf die Welt gekommen, was sich dann als „Kerpener Schule“ durchgesetzt hat. Christoph Sieber kommt zum Ende seiner Vorstellung, indem er noch einmal seine „schlimme Kindheit“ betont und sich ein Leben wünschen würde, das ein bisschen mehr wie Fußball wäre – mit klaren An- und Abpfiffzeiten und einem „Ersatzspieler wenn man grade keine Lust hat“. Das Leben mit dem Tod beginnen, im Erfahrungsabbau vollziehen und in der orgiastischen Zeugung enden lassen – das kennzeichnet die Vision eines vernünftigen Daseins, wie sie uns Sieber anbieten möchte. Als Altersvorsorge dann einen „LKW voll Sand und Förmchen zum Burgenbauen“, mit dieser Vision entlässt er seine begeisterten Zuhörer.

Die Kombination aus präziser Beobachtung, feiner Ironie als Stilmittel, hervorragender Pantomime, situativer Reaktion auf das Mittun und Hören des Publikums sowie eine kritischer Aufklärung verpflichtete Lebenszuversicht, die gerade auch der Jugend Rechte auf eigene Perspektiven eröffnen möchte, das sind  Markenzeichen von Christoph Sieber. Auch in Jena war er der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Der Titel des Abends hat also obendrein auch noch gestimmt „Wir haben ihn verdient“!

(9. Juni 2007, Katharina Dellbrügger, Conrad-von-Soest-Gymnasium Soest)

 

12.06.2006 (MF)

 
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