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Brass pur: „Musik und Demokratie“ zwischen Können, Wohlklang und Sentiment

Ein Konzert mit den Blechbläsern der Jenaer Philharmonie

Gut ausgeleuchtet mit stimmungsvollen Farben ist der Platz zwischen den Schaltbänken der großen 110-Kilovolt-Halle des Umspannwerks zum Konzertraum verwandelt – für über 200 Leute bestuhlt und mit Publikum vollbesetzt. Das Konzert wird es als Konkurrenz zum Fussballspiel Deutschland-Slowakische Republik nicht ganz leicht haben: Die Bremer Schülerinnen und Schüler jedenfalls, so einer der Lehrer aus der Hansestadt, haben die Nationalmannschaft gegenüber den Musikern vorgezogen.

Doch bleiben wir zunächst bei der stimmungsvollen Beleuchtung, die für ein akustisches Feuerwerk ja nur den Hintergrund, die Aura bieten sollte. Der zunächst friedliche Eindruck täuscht denn auch. Die Akteure aus der Jenaer Philharmonie (verstärkt durch Gäste aus Gotha, Weimar, Detmold und Stuttgart) haben sich – ihren Worten zufolge – „zum Kampf gerüstet“. Ein Kampf musikalischer Art, versteht sich. Das Blechbläserensemble will die Halle in eine Arena verwandelt. Passend dazu das erste Stück: „Einzug der Gladiatoren“, ein Marsch in der Tradition böhmischer Musik und der Aura habsburgischer Feierlichkeit von Julius Fucik – und dennoch: ein schönes Stück Musik, dem die Trompeten- und die Posaunengruppe gerade im melodiösen Mittelteil einen glänzenden, homogenen Klang abgewinnen kann. Gladiatoren hin oder her – wie antike Sandalenhelden sehen die Musikerinnen und Musiker an Horn, Trompeten, Posaunen und Tuba nicht aus. Ihre Waffen sind einzig und allein ihre Instrumente und deren Klanggewalt. Kämpferisch geht es dann auch weiter mit dem „Galliard Battaglia“, ein für zwei Blechbläserorchester gesetztes dialogisches Stück, das „Kampf“ dann glücklicherweise mehr als das ergänzende Miteinander musikalisch durchdekliniert. Alexander Suchlich, der durch das Programm führt, hat mit dem angekündigten „musikalischen Scharmützel“ allerdings nicht zuviel versprochen. Fünf gegen fünf heißt es dann auch bei der Brass Symphonie, einem Stück des tschechischen Komponisten Jan Kotsier, das für Blechbläserensemble geschrieben wurde.

Brillanz und opernhafte Dramatik

Das brillierend-auftrumpfende Element der Brass-Musik erklärt Alexander Suchlich mit der ewigen Konkurrenz der Blechbläser zu den Musikern an den Streichinstrumenten. Gerade die Kammermusik dieser Instrumentengattung hat eine immerhin jahrhunderte alte Geschichte vorzuweisen – die Blechbläser hingegen sind als Formationen entweder dem martialisch-militärischen Musikbereich verbunden oder heute mit dem Volksmusiktum verbandelt. Brass als Kunstmusik möchte aber mehr: Entsprechend zeigt eine Bearbeitung der Ouvertüre zu Verdis „Nabucco“, welche opernhaft-affektiven Steigerungen und Ausdrucksmöglichkeiten ein sensibler Blechbläsersatz ausweisen kann. Die ständige Veränderung der Spieltechnik an den Instrumenten und das meisterliche Können der Profis wird vom Publikum mit begeistertem Applaus honoriert: Bewunderung. Mit dem „Grassauer Zwiefacher“, einem die Melodien durch Varianten zwischen geradem und ungeradem Takt hetzenden Satz nach Volkstanzmotiven setzen die Musiker noch einen schnellen, lauten Schlusspunkt unter den ersten Konzert-Teil. Pause, Wasser und Wein mit guten Gesprächen folgen an einem lauen Sommerabend.

Das fordernde Leben – The streneous life

Mit einer Bearbeitung des bekannten Piano-Ragtime „The streneous life“ von Scott Joplin geht es frisch erholt weiter. Das Leben als „Mühe, Anstrengung, aber auch Bereicherung“ – man mag es als Bild für das demokratische Engagement unseres Zuhörerkreises mitinterpretieren. Auch hier bietet das ostinate Bass-Grundgerüst der Tuba eine außerordentliche Rolle im musikalischen Verlauf des Satzes. Eine besondere Dramatik spielt im nächsten Stück mit herein: Eine Bearbeitung der „Rache“-Arie und Koloratur der „Königin der Nacht“ aus Mozarts Zauberflöte bringt eine Besetzung der Trompeten und damit „männliche Koloratur-Soprane“, wie Alexander Suchlich eine wortwitzige Anspielung versuchte. Virtuos war das ganze durchaus und dennoch, wie eine Mithörerin es nannte, eine etwas „temperamentlose und wenig nach Rache dürstende Nacht-Königin“; keine Frau eben, sollte das wohl heißen.

Die Posaunenklänge erzeugen in der alten Stromhalle einen sich selbst verstärkenden Klang – Ein Nachhall von nahezu zwei Sekunden füllt den Raum, fördert allerdings auch nicht gerade die Durchhörbarkeit des Bläsersatzes. Moderator Alexander Suchlich hält sich zwischen der Musik an Hildesheimers stakkato-artigen und bildhaften Text zu Max Frischs 60. Geburtstag, in dem unter dem Titel „Mitteilungen an Max über den Stand der Dinge“, eine ins Gegenwärtige und Konkrete gedrehte Auseinandersetzung mit der Hochkultur die Blechbläser-Konkurrenz aus Oberammergau mit ihrem Passionsspielen, sämtlichen Sängerknaben und Domspatzen zwischen Wien und Regensburg und manchem anderen auf’s Korn genommen wird: Die Hölle rückt in die Nähe des Zillertals oder von St. Moritz im Sommer. Der Grund ist klar: Mit dem Goiserer Jodler und dem Basler Marsch geht es musikalisch auch erst einmal in die südlich-alpine Provinz. Die Zuhörer sind aktiv mit eingebunden und die Musiker lockern ihre Vorstellung durch kleine Geschichten zwischendurch auf. Wie ein Streitgespräch zwischen Trommel, Trompete und dem Rest des Ensembles mutet das nächste Stück an, das Publikum mittendrin. Als totaler Kontrast zu diesem Marsch gibt es nun „Londonderry Air“ auf die Ohren. Das ist nicht irgendein Stück, sondern die Nationalhymne von Nordirland, von den Musikern melancholisch und mit herausragendem Solo an der Posaune durch Martin Zuckschwerdt dargeboten.

Zum Abschluss: Swing und Folklore

Zurück zur leichteren Gangart kommt die Brass-Pur-Vorstellung mit dem nächsten Werk: Einer Katzen-Suite von Chris Hazell. Der eher gemütliche Kater „Mr. Jums“ und sein stolzer, älterer Artgenosse „Black Sam“ spielen hier die Hauptrollen. Doch es ist keineswegs ein Katzenjammer, den es zu hören gibt, differenziert klangmalerisch nähern sich die Blechbläser der Jenaer Philharmonie dem Thema. Vor dem letzten Stück greift Alexander Suchlich noch einmal in seine Anekdotenkiste und erzählt eine Geschichte aus Afrika, in der die Menschen nicht  mehr weiter eilen können, weil sie „warten müssen bis die Seele sie eingeholt hat“ – dazu passend das Finale. Bei Gershwins „I got Rhythm“ werden die Synkopen spürbar, es wird „geschnipst“ und geswingt was das Zeug hält. Auch die Zuhörer können sich kaum gegen Füßewippen  und fröhliches Mitmachen erwehren. Der tosende Applaus am Schluss lässt keine Fragen offen, die Musiker der Philharmonie danken ihrem Publikum mit einer verspielt-kunstvollen, passagenweise hart, aber immer elegant am Kitsch vorbeisegelnde Variante des Dauerbrenners der Volksmusik „Das Kufstein-Lied“. Anschließend verlassen die Gladioren und Gladiatorinnen die Arena als Sieger. Das Konzert war ein voller Erfolg und für die Lernstatt Demokratie mit ihren Teilnehmern zwischen der Generationen zwischen 10 und 70 ein schönes, besonderes und gemeinsames Erlebnis. Denn wann schon spielt einmal die Philharmonie für die Demokratie?

(7.6.2007, Wolfgang Beutel; Jena/Katharina Dellbrügger; Soest)


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07.06.2007 (MF)

 
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